Jeder Fisch zählt

„Das ist ein Fisch. Das auch. Das sind viele Fische. Das ist ein Otter, das eine Ente, das bin ich beim Putzen und das mein Kollege mit der Bürste“, so in etwa muss man sich eine Trainingseinheit mit Uwe Friedrich vom Institut für Fisch und Umwelt (FIUM) in Rostock vorstellen. „Ich sage der Künstliche Intelligenz genau, was für uns interessant ist und was sie filmen soll. Gleichzeitig sage ich ihr, was unwichtig für uns ist, beispielsweise Wurzeln, Kraut, Trübungen oder Grashalme, die vorbeischwimmen.“ Bevor es die Möglichkeit der KI-unterstützten Fischzählung gab, musste sich Uwe Friedrich noch selbst die Filme ansehen, um sie anschließend auswerten zu können. „Um das Filmmaterial einer Saison auszuwerten, würde eine Person bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden 2,5 Jahre benötigen“, erklärt er. „Unsere KI schaff das in 44 Stunden. Das ist eine unglaubliche Zeitersparnis.“ 

Im Auftrag des Landesamts für Landwirtschaft und nachhaltige Landentwicklung des Landes Schleswig-Holstein, Abteilung Fischerei in Flintbek hat Uwe Friedrich im September zehn Unterwasserkameras in der Treene installiert. Mit ihnen sollen die Bestände der Meerforelle gezählt werden. Sie sind Indikatoren für gesunde Flussökosysteme und ihre Lebenszyklen und Wanderungen zu den Laichgebieten geben Aufschlüsse über ökologische Wechselwirkungen und die Auswirkungen des Klimawandels. 

Ganz nebenbei, sozusagen als Beifang, liefert die Auswertung ein komplettes Bild auf das örtliche Artenspektrum, denn die KI hat nicht nur Meerforellen gezählt, sondern auch Neunaugen, Hechte und Wollhandkrabben. „Die KI kann unterschiedliche Arten erkennen und clustert die Filme gleich“, ergänzt Uwe Friedrich. Trotz der Hilfe durch KI wird er sich für die Auswertung der Ergebnisse eine Menge Filme genauer ansehen. In etwas zwei Monaten kann er dann auch sagen, wie viele Individuen die Kameras passiert haben. Man erkennt sie an unterschiedlichen Punkten oder Schrammen auf der Nase. „Es gibt durchaus schüchterne Meerforellen, die gleich mehrfach an die Kamera heranschwimmen, bevor sie sich trauen, vorbeizuschwimmen. Diese Mehrfachzählungen werden aussortiert“, weiß er. 

In der Saison von September bis Februar sind rund 1 Millionen Videodaten zusammengekommen. Darunter, bedingt durch das Hochwasser, auch viele Aufnahmen von Schweb- und Trübteilchen. Deshalb werden etwas weniger als die üblichen 3 Prozent der Daten relevant für die Auswertung sein. „Ich haben gerade einen Studenten kennengelernt, der seine Bachelorarbeit über die Biodiversität der Treene schreiben möchte“, erzählt Uwe Friedrich. „Ich freue mich, wenn die Daten nicht ausschließlich für Rückschlüsse auf die Bestände der Meerforelle verwendet werden, sondern auch nachhaltig für andere Themen genutzt werden.“ Die Daten aus der Fischzählung lassen darüber hinaus Rückschlüsse auf die Zusammenhänge zwischen Wasserstand, Temperatur und Anzahl der aufsteigenden Forellen zu. „Aber das ist nun Aufgabe der Biologen. Ich kann nur die Zahlen liefern.“ Die Fischzählung ist nun für diese Saison abgeschlossen. Die gesammelten Daten werden Ende April ausgewertet sein. Ob viele oder wenige Meerforellen durch die Treene gewandert sind, das zeigen erst Vergleiche in den kommenden Jahren. Im Herbst geht das Projekt weiter – dann wir wieder gezählt, wie viele Meerforellen über die Treene zu ihren Laichplätzen schwimmen.

Beitrag veröffentlicht von:
Claudia Kleimann-Balke